Der folgende Text soll die Positionen der autonomen antifa [w] zum Verhältnis von Geschlecht und Kapitalismus, zur Wandlung der Geschlechterverhältnisse sowie zur Krise der sozialen Reproduktion und abschließend zur Ausrichtung feministischer Strömungen im deutschsprachigen Raum darlegen. Der Text ist in vier Kapitel unterteilt: Erstens ein kurzer historischer Abriss des Verhältnisses von Geschlecht und Kapitalismus und der Geschichte des 8. März. Zweitens ein Blick auf Geschlechterverhältnisse im globalen Norden im Hier und Jetzt. Drittens eine Kritik identitätspolitisch-verkürzter feministischer Strömungen, verbunden mit viertens, dem Versuch, unseren Ansatz einer materialistisch-feministischen Gesellschaftskritik zu formulieren.
Zu all diesen Themen ließe sich mehr als ein Buch schreiben, was – mal besser mal schlechter – auch bereits passierte. Klar ist, dass wir mit diesem Papier weder eine vollständige kritische Auseinandersetzung mit dem 8. März als Frauen*(kampf)tag, noch mit der Geschichte und Gegenwart des Feminismus allgemein oder mit dem Verhältnis von Patriarchat und Kapitalismus liefern können oder wollen. Vielmehr ist dieser Text ein Versuch, anhand von Argumenten zu zeigen, warum unser Feminismus untrennbar mit antikapitalistischer Gesellschaftskritik, mit einer Kritik, der es ums Ganze geht, verbunden ist. Diese Position fehlt uns oft – generell und in der Linken, weswegen wir ihr mit unseren Aktionen rund um den 8. März 2017 mehr Gehör, Sichtbarkeit und Aufmerksamkeit verschaffen und eine neue Debatte in Gang setzen wollen.
1. Zur Geschichte
„Wir müssen Sorge tragen, daß der Frauentag nicht nur eine glänzende Demonstration für die politische Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts, sondern darüber hinaus der Ausdruck einer Rebellion gegen den Kapitalismus, eine leidenschaftliche Kampfansage all den reaktionären Maßnahmen der Besitzenden und ihrer willfähigen Dienerschaft, der Regierung ist.“ Dafür trat Clara Zetkin zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein. Der 8. März wurde 1921 von der Zweiten Internationalen als Gedenktag zu Ehren der Rolle der Frauen* in der Februarrevolution ausgerufen. Der Streik der Arbeiterinnen* in den Munitionsfabriken und die Proteste und Plünderungen, die von Soldatenfrauen*, Arbeiterinnen* und Bäuerinnen* initiiert oder zentral mitgetragen wurden, waren Auslöser der Revolten, die zur Revolution werden sollten. Doch bereits vor dem 1. Weltkrieg waren alljährlich zwischen Februar und Mai stattfindende Demonstrationen für das Wahlrecht der Frau* und später gegen Krieg und Militarismus Teil der Politik der Arbeiter*innenbewegung. Wobei der Monat März sowohl aufgrund der Märzrevolution, als auch des Beginns der Pariser Kommune von Bedeutung war. In den folgenden Jahrzehnten war der 8. März von unterschiedlichsten Bedeutungsverschiebungen, zum Teil unter staatssozialistischen Vorzeichen, geprägt. Trotz zahlreicher Versuche, das Gegenteil zu erreichen, sehen wir ihn heute weitgehend de-politisiert und seines radikalen Potenzials entkleidet.
Wie konnte es dazu kommen, dass Frauen* sich das Wahlrecht erst erkämpfen mussten? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir in der Geschichte weiter zurückgehen und abstrakter werden.
Der Feudalismus mit seinen persönlichen Herrschaftsformen wurde nach und nach vom Kapitalismus mit seinen unpersönlichen und indirekten Herrschaftsformen abgelöst. Die neue herrschende Klasse, das Bürger*innentum, brachte auch ein neues Verhältnis der Geschlechter, ja überhaupt eine neue Festschreibung der Geschlechter, mit sich. Die Herausbildung der Sphären von Produktion und Reproduktion und die Trennung von öffentlichem und privatem Raum war bestimmend für die Herausbildung der bürgerlichen Geschlechterverhältnisse: Während Haus und Familie im Feudalismus als größeres Gebilde (bestehend aus Herrin und Herr, Gesinde, Kindern, etc.) gedacht wurde und Herrschaft sowie Unterdrückung hier weniger vergeschlechtlicht als ständisch war, verengte sich dieses Bild mit der Entstehung der modernen Kleinfamilie: Die Frau* als Mutter und Erzieherin, zuständig für die Reproduktion der Arbeitskraft ihres Mannes, wurde zur bloßen Zeugin einer sich dynamisierenden und modernisierenden Welt. Für die Analyse von Geschlechterverhältnissen ist die mit den beschriebenen Prozessen einhergehende Herausbildung geschlechtsspezifischer Dichotomien in Bezug auf bürgerliche Subjektwerdung zentral: Mann – Frau, Geist – Körper, Kultur – Natur, Produktion – Reproduktion, Aktivität – Passivität, Rationalität – Emotionalität.
Durch die Entstehung des Kapitalismus entstand auch eine neue geschlechtliche Arbeitsteilung, wobei die reproduktive Funktion der „Frauenarbeit“ jener der produktiven „Männerarbeit“ untergeordnet wurde. Das Ideal der von Produktionsarbeit ausgeschlossenen bürgerlichen Frau* steht dabei im starken Kontrast zu jener durch Produktions- und der Reproduktionsarbeit doppelt ausgebeuteten proletarischen Frau*. Während Männer* im Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus einen bestimmen Grad an formeller Freiheit erlangten, verfestigte sich in dieser Phase die Vorstellung der schwachen und im Vergleich zum Mann minderwertigen Frau radikal.
Die Klassifizierung und Hierarchisierung von Fähigkeiten sowie die Identifizierung der Frau mit abgewerteten Fähigkeiten, kann als Strategie des unheilvollen Bündnisses von Patriarchat und Kapital betrachtet werden, die Ausbeutung der weiblichen Arbeitskraft zum Teil ohne oder mit bloß geringer Entlohnung zu organisieren. Diese Ausbeutung verläuft primär über den Körper, weshalb das Patriarchat stets darum bemüht ist, den Körper der Frau* zu disziplinieren und zu dominieren. Auseinandersetzungen um das Recht auf Abtreibung oder die Zurichtung auf bestimmte Schönheitsideale sind weitere Beispiele dafür, wie sehr Herrschaft im Patriarchat über die Körper operationalisiert wird.
Trotzdem bedeuteten die bürgerlichen Revolutionen für das in der Auseinandersetzung entstandene bürgerliche Subjekt ein mit feudalen, ständischen Gesellschaften unvergleichbares Maß an Mitsprache, Freiheit und wenn auch nicht materieller, dann zumindest formeller und juristischer Gleichheit. Zentral für das Verständnis von Geschlechterverhältnissen ist jedoch die genaue Betrachtung des bürgerlichen Subjekts. Dieses war von Beginn an männlich gedacht und bedurfte zur eigenen Bestimmung eines Anderen, Nicht-Identischen. Wie sehr die Frau* als das Andere und damit auch als Gefahr imaginiert wird, zeigen nicht zuletzt die sogenannten Hexenverfolgungen, welche ähnlich dem Kolonialismus stets aus der westlichen und androzentristischen Geschichtsschreibung herauszufallen drohen. So waren Frauen* – wie auch Juden – anfangs keineswegs als bürgerliche Subjekte anerkannt und konnten die rechtliche Gleichstellung erst nach langen Kämpfen oder Assimilation erreichen. Dieser Ausschluss und Partikularismus der universalistisch daher kommenden bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft machte es möglich, Frauen* das Wahlrecht abzusprechen, da diese etwa zu emotional oder irrational seien, um zu wählen – eben keine echten, vollwertigen Menschen bzw. Männer.
Das Recht zu wählen, wer über eine*n regiert, wurde mittlerweile auch für Frauen* erkämpft. Warum es – selbst nach bürgerlichen Maßstäben – immer noch schlecht um die Gleichheit aller Menschen steht, wird in den nachstehenden Kapiteln erörtert.
2. Der Wandel der Geschlechterverhältnisse und die Krise der
sozialen Reproduktion
Die gesellschaftlichen Vorstellungen von Männlichkeit* und Weiblichkeit* haben im Laufe der letzten Jahrhunderte, um nicht zu sagen im Laufe der vergangenen Jahrzehnte, immense Wandlungen vollzogen. In der spätmodernen Gegenwart scheinen sich die rigiden Grenzen sowohl zwischen den Geschlechtern als auch in ihren Konzeptionen zu liberalisieren. In den Produktionsverhältnissen des Spätkapitalismus erscheinen die Träger*innen der Arbeitskraft der Idee nach als geschlechtslos. Dass dies spätestens auf den zweiten Blick nicht zutrifft, lässt sich unter anderem an der starken Unterrepräsentation von Frauen* in Führungspositionen oder technischen Berufen, ihrer strukturellen Unterbezahlung, dem niedrigen Lohndurchschnitt in Berufsbereichen, die lange als „Frauenberufe“ verstanden wurden, ablesen.
Doch neben der Lohnarbeit fallen auch Reproduktionstätigkeiten im Haushalt, Kindererziehung und Pflegeaufgaben an, die nicht allein marktmäßig erledigt werden können bzw. sollen und die vor allem Frauen* zufallen. Zentral ist neben der Reproduktion auch die Produktion der Arbeitskraftbehälter, also nicht nur das aufziehen, sondern auch das Gebären von Kindern. Mit diesen beiden Bereichen, also der Gebär- und Care-Arbeit, werden auch Gefühle und Eigenschaften in der modernen Entwicklung an „die Frau“ delegiert bzw. zugeschrieben: Schwäche, mindere Verstandeskraft, Sinnlichkeit, Passivität usw. „Der Mann“ bzw. das männliche Prinzip hingegen steht nach wie vor für Durchsetzungskraft, Intellekt, Charakterstärke.
Mit der Transformation der Arbeits- und Lohnverhältnisse sowie der Reorganisation der Unternehmen und entsprechender staatlicher Politiken ist ebenso eine Transformation der Geschlechterverhältnisse verbunden: Während die Individuen aufgrund von Lohnsenkungen und der Erosion des „Familienlohns“ von der familiären Solidarität und dem Pool aus verschiedenen Einkommen wieder stärker abhängig gemacht werden, wird zugleich die Funktionsfähigkeit der Kleinfamilie als institutionelle Form der Reproduktion der Arbeitskraft zunehmend infrage gestellt – nicht zuletzt auch deshalb, weil Frauen* seit den 1960er Jahren die traditionelle Arbeitsteilung zwischen dem männlichen Familienernährer und der Hausfrau immer weniger akzeptieren.
Es sind aber nicht nur materielle Bedingungen ausschlaggebend dafür, Druck auf den Wandel der Familie auszuüben, sondern auch Veränderungen in den Ansprüchen an ein familiäres und nicht-familiäres Zusammenleben, alternative Lebensentwürfe oder die Weigerung, reproduktive Arbeiten weiterhin „privat“ und unbezahlt zu übernehmen. Der partielle Ausbau von Kindererziehungs- und Pflegeeinrichtungen hinkt den Erfordernissen und Rechtsansprüchen jedoch hinterher: Betreuungs- und Pflegearbeit bleiben weiterhin Privatangelegenheit – oder werden wieder verstärkt zu einer solchen, weil im Zuge von Krisen die soziale Infrastruktur ausgedünnt und Sozialleistungen eingeschränkt werden. Angesichts der Auswirkungen der Prekarisierung und verstärkten Belastung durch Lohnarbeit können und wollen Frauen* die Übernahme der unbezahlten Reproduktionsarbeit oft nicht mehr ohne Weiteres gewährleisten, sodass „Reproduktionslücken“ und Spannungen in den Beziehungen und Familien entstehen.
Der Krise der unbezahlten Reproduktionsarbeit wird entgegengewirkt, indem diejenigen, die es sich leisten können, Hausarbeit an niedrig entlohnte Hausarbeiter*innen, zumeist Migrant*innen, auslagern. Auch wenn diese Lösung nur für einkommensstarke Personen infrage kommt, trägt sie als klassen- und geschlechterspezifische Form der Krisenbearbeitung dazu bei, dass sich die Reproduktionskrise in den Mittelklassen nicht zuspitzt. Gleichzeitig wird die Fürsorgekrise in die Herkunftsländer der Migrant*innen verlagert – es entstehen also transnationale Betreuungsketten, an deren Ende die Fürsorgekrise globalisiert und die prekären Lebensbedingungen von Frauen* und Kindern in den Ländern Osteuropas und des globalen Südens weiter verschärft werden. Aber auch Diskussionen um die Stärkung ehrenamtlicher Tätigkeiten und Konzepte sogenannter Caring Communities müssen als Formen der Krisenbearbeitung in den Blick genommen werden, da die Inanspruchnahme unbezahlter oder geringfügig entschädigter Arbeit sowie nachbarschaftlichen Engagements die reproduktiven Lücken füllen und die Sozialsysteme finanziell schonen soll.
Die Unterwerfung der Fürsorgearbeit unter die Lohnform und die Inwertsetzung reproduktiver Sektoren wie Gesundheitsversorgung und Pflege tragen zu Qualitätsverlusten der Arbeit bei, indem Arbeitsabläufe ständig unter ökonomischen Gesichtspunkten reorganisiert werden. Dadurch nimmt der Zeitdruck zu und der spezifische Gebrauchswert von Fürsorgearbeiten wird untergraben. Die direkten und indirekten Auswirkungen der zunehmenden Prekarisierung von Arbeits- und Lebensverhältnissen, der Privatisierung und Inwertsetzung vormals öffentlicher Daseinsvorsorge, die Delegierung von Hausarbeit an Dritte sowie die politisch beabsichtigte – und im Zuge der Austeritätspolitik erneut verschärfte – Unterfinanzierung und Erosion der öffentlichen Infrastrukturen bilden somit einen Krisenzusammenhang, auch wenn sich die Dynamiken in relativ autonomen gesellschaftlichen Bereichen entwickeln. Diese bereits seit mehreren Jahren zunehmenden Krisenelemente in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen der sozialen Reproduktion schlagen sich bei den betroffenen Individuen als Erschöpfung und Verunsicherung nieder. Auch sie bilden gegenwärtig den gesellschaftlichen Nährboden, aus dem sich die Stärke der politischen Rechten speist. Dieser gelingt es, die Probleme zu nutzen, indem sie kulturkämpferisch traditionelle Familienwerte und entsprechende heteronormative Geschlechterpraktiken propagiert, die sogenannte „Genderideologie“ sowie die politische Korrektheit angreift und damit suggeriert, sie könne die Verunsicherung durch eine Reorganisierung und der Schaffung einer alten Ordnung in den Griff bekommen.
An diesen Entwicklungen wird zu Recht von feministischer Seite Kritik geübt. Wo diese jedoch zu kurz greift bzw. an der eigentlichen Problemlage vorbei agiert, wird im nächsten Kapitel dargestellt.
3. Kritik an identitätspolitisch-verkürztem Feminismus
Neoliberale und bürgerliche „Feminismen“, die ihre Ziele nicht weiter stecken, als dass möglichst alle Menschen möglichst gleichermaßen im Kapitalismus ausgebeutet werden sollen, haben noch einiges an Arbeit vor sich, weswegen sie aus linksradikaler Perspektive zwar durchaus, aber nur punktuell als Bündnispartner*innen taugen.
Die Errungenschaften des Queer-Feminismus, die Kategorie Geschlecht als solche in Frage zu stellen und der Dämonisierung bzw. nicht-Anerkennung von nicht-hetero Begehren größere Aufmerksamkeit zu schenken, sind nicht zu schmälern. Trotzdem sehen wir gerade in von postmodernen Theorien angeleiteten feministischen Strömungen eine Verengung auf identitätspolitische Fragestellungen und die Re-Essentialisierung sowie das Abfeiern von bestimmten Identitätsangeboten.
Nach dem Verlust des einen feministischen Subjekts Frau* haben sich postmodern inspirierte feministische Politiken und ihre Akteur*innen in kleine Identitäts- und Interessensgruppen aufgesplittet. Häufig sind aber die Widersprüche und Konflikte, in denen sich diese Identitäten bewegen, nicht Teil einer konstruktiven Debatte, ganz nach dem Motto: „Dein politisches Subjekt hört da auf, wo meines anfängt“.
Das postmoderne Erbe, also die Kritik an einem universellen Subjekt und universellen Werten, macht es nahezu unmöglich, die geforderte politisch korrekte öffentliche Sprecher*innenrolle einzunehmen, da vermieden werden soll, gegen eine andere Position zu sprechen, die auch aus einer marginalisierten Position spricht. Oft heben sich dann gesellschaftspolitische Argumente und Analysen gegenseitig auf, statt sich im Rahmen eines solidarischen Umgangs mit Widersprüchen gegenseitig zu stärken. Die Angst vor Universalismus oder der Situation, „für jemanden“ zu sprechen, führt teilweise zu einer Projektion des eigenen, verlorengegangenen Subjekts auf andere scheinbar widerspruchsfreiere Identitäten. Es wird vor allem darüber debattiert, wie feministisch „richtiges“ Verhalten, Sprechen und Habitus im Allgemeinen auszusehen hat. Innerhalb dieser Diskussion ist jedoch wenig Platz für gemeinsame Strategien, um patriarchale und kapitalistischer Verhältnisse umzuwerfen. Ein konstruktiver Umgang mit Widersprüchen und ein gemeinsames Lernen aus Fehlern haben hier oftmals keinen Platz. Vielmehr wird auf einer reinen Erscheinungsebene stehen geblieben, auf der die Sprach- und Diskursebene einseitig favorisiert wird.
Es entsteht der Trugschluss, dass die Formulierung einer Betroffenen-Position und eine emanzipatorische Gesellschaftskritik das Gleiche seien. Außerdem droht die Gefahr der Abkehr von feministischer Gesellschaftskritik und ein Fokus auf reine Identitätspolitiken, die sich ausschließlich im Rahmen der eigenen Betroffenheit bewegen können, um Widersprüchlichkeiten zu vermeiden. Ein solcher Rahmen droht Strategiedebatten, geteilte Analysen und gemeinsame politische Auseinandersetzungen zu verunmöglichen. Die eigene politische Praxis wird fast ausschließlich durch die Reaktion auf eigene Betroffenheit bestimmt und damit auch begrenzt.
Aus diesen Gründen kritisieren wir einen Feminismus als reine Politik der Safe Spaces, da er hier auf eine individuelle Wohlfühl- und Bewältigungsstrategie begrenzt wird. Damit wollen wir weder den Versuch, (vermeintlich bzw. möglichst) sichere Räume zu konzipieren, noch die abgrenzende Organisierung von spezifisch Betroffenen delegitimieren. Das Problem liegt in der Formulierung des politischen Zieles: Ist der separatistische Safe Space das Ziel der Politik? Oder vielmehr ein Teil von ihr? Werden also trotz partikularer politischer Interventionen und Forderungen die Perspektiven auf universalistische Werte und gesamtgesellschaftliche Veränderung offen gehalten oder verstellt? Diese Fragen sollten linksradikale Politik bei der Suche nach Verbündeten anleiten.
Zum Schluss wollen wir einige der bereits angesprochenen Punkte noch einmal aufgreifen und versuchen, einen ideologiekritischen und materialistischen Zugang zu Feminismus in Stellung zu bringen.
4. Subjektkonstitution im Kapitalismus und antigenderistische sowie antifeministische Ideologie
Wir leben in einer kapitalistischen Welt, der es nicht darum geht, ein gutes und sicheres Leben für alle Menschen zu gewährleisten. Stattdessen geht es darum, aus Geld noch mehr Geld zu machen. Das hat Folgen für jede*n einzelne*n von uns und für unser Zusammenleben. Auf der einen Seite wird die materielle Reproduktion für den Großteil der Menschen ständig in Frage gestellt und prekarisiert: Ob sie schön wohnen, gut essen, sich chic kleiden können, Zeit für Schönes haben usw. hängt von ihren Jobs, oder denen ihrer Eltern, Partner*innen o.ä. ab. Es hängt davon ab, über wie viel Geld sie verfügen können. Selbst auf dieser simplen Ebene herrscht beständig Unsicherheit – von der politischen und ökologischen Großwetterlage ganz zu schweigen. Auf der anderen Seite wird der Großteil der Menschen ständig dazu gezwungen Dinge zu tun, auf die sie keinen Bock haben, wie beispielsweise morgens zeitig aufstehen und in die Arbeit fahren.
Bestimmte reaktionäre Angebote werden vor diesem Hintergrund attraktiv, da sie vermeintliche Sicherheit und ein Ventil für unterdrückte Wünsche versprechen. „Regungen, die vom Subjekt als dessen eigene nicht durchgelassen werden und ihm doch eigen sind, werden dem Objekt zugeschrieben: dem prospektiven Opfer.“ wussten Horkheimer und Adorno. Selbstdisziplinierung bedeutet Wünsche und Regungen nicht zuzulassen oder auszuleben. All diese unterdrückten Wünsche und Regungen benötigen psychoanalytisch gedacht ein Ventil und werden beispielsweise anderen zugeschrieben. Hinter einer antifeministischen Ideologie steht das Bedürfnis, sich der eigenen männlichen Vormachtstellung bzw. der eigenen weiblichen Passivität zu versichern.
In den letzten Jahren zeigt sich verstärkt ein Backlash feministischer Errungenschaften: Feministische Kämpfe und Diskurse werden von reaktionärer Seite als „Gender-Ideologie“ diffamiert, was gleichzeitig einen Nährboden für krude Verschwörungstheorien bildet („Politische Geschlechtsumwandlung“, „Gender-Gaga/Wahnsinn“, „Frühsexualisierung unserer Kinder“, ..). Dementsprechend kann von Anti-Genderismus gesprochen werden, der die Bedürfnisse nach Binarität und Heteronormativität zu befriedigen scheint. Der subjektlosen Herrschaft des Patriarchats, welche sich in der bürgerlichen Gesellschaft herausgebildet hat, stellt die extreme Rechte ein Bild der „natürlichen Ordnung” entgegen: eines patriarchalen, von persönlichen Abhängigkeitsverhältnissen durchzogenen Familienmodells. Es richtet sich gegen jede emanzipatorische Forderung und stellt einen massiven Angriff auf bereits erkämpfte Rechte von Frauen* und LGTBIQ*-Personen dar.
Der Kampf gegen die kapitalistisch-patriarchale Gesellschaftsordnung ist die Voraussetzung für die Überwindung dieser falschen Verhältnisse. In unseren kollektiven Kämpfen gegen patriarchale Strukturen und den kapitalistischen Normalbetrieb werden Risse des herrschenden Konsens sichtbar, die es zu erweitern gilt. Denn ein gutes Leben für alle ist nur mit der Abschaffung von Kapitalismus und Patriarchat zu haben.
Wir haben versucht, unsere Positionen möglichst klar und nachvollziehbar zu argumentieren. Wir hoffen, mit feministischen, linken Kreisen und Gruppen, aber auch darüber hinaus ins Gespräch zu kommen. Die beiden Diskussionsveranstaltungen am 21. Februar und am 4. März sind nur zwei von hoffentlich vielen Gelegenheiten, unsere Positionen und Perspektiven feministischer Gesellschaftskritik und Praxis zu diskutieren. Dazu wollen wir euch herzlich einladen!
Kommt außerdem zur Vorabenddemo am 7. März um 18:00 Uhr nach Wien Mitte. Holen wir uns die Straßen zurück und zeigen wir unsere Wut über die herrschenden Geschlechter-Verhältnisse!
Für einen Feminismus, dem es ums Ganze geht!